^INTERVIEW
„Wir brauchen Maßstäbe!"
„Bei der Wahl der Lautsprecher fehlen den Kunden die Auswahlkriterien" sagt Dr. Sean Olive und
schlägt ein Punktesystem vor. STEREO sprach mit Harmans „Director of Acoustic Research"
S
ie sind groß oder klein, teuer oder
günstig, u n d m an kan n sie oft in
un tersch ied lich sten O berflächen
haben - von Furnier bis Lack. D och wie
gut klingen Lautsprecher? Abseits persön-
licher H ö rp ro b en u n d von T estresulta-
te n schlägt D r. Sean O live eine Ü b e r-
setzung w esentlicher M essergebnisse in
ein objektiviertes, allgem ein v erb in d li-
ches Punktesystem vor, das jedem Inte-
ressenten sofort die Q ualität einer Box
verdeutlicht. D er „D irector o f A coustic
Research“ bei H arm an International (JBL,
Infinity, Revel) betrachtet das P hänom en
L autsprecherklang streng w issenschaft-
lich. STEREO sprach m it ihm über seinen
Punkteansatz und andere aufschlussreiche
A spekte seiner Arbeit.
STEREO: W esh alb w ollen Sie ein P u n k-
te-R an kin gfü r Lautsprecher?
Dr. Sean Olive:
U m dem K unden eine
objektive Hilfe bei der Lautsprecherw ahl
zu geben. Eine aktuelle Studie der C onsu-
m er E lectronics A ssociation (CEA) hat
erm ittelt, dass für 90 P rozent der K äu-
fer d er K lang d er w ichtigste P u n k t im
U m g an g m it A u d io -K o m p o n en te n ist
u n d dass 39 % bereit sind, für hochquali-
tative P rodukte auch m ehr zu bezahlen.
Das sind gute N achrichten für uns, weil
w ir solche P rodukte anbieten.
Na, dann ist doch alles in Ordnung, oder?
E ben nicht! D ie schlechte N ach rich t ist
näm lich, dass viele K o n sum enten nicht
zwischen guten und weniger guten Boxen
untersch eid en können. D en n die te ch -
nischen S pezifikationen u n serer L aut-
sprecher geben nicht wieder, wie gut sie
klingen. U n d obw ohl H arm an im Laufe
d er Jahrzehnte sehr viel im B ereich der
Lautsprecherm esstechnik entwickelt und
geleistet hat, verw endet unsere Branche
Spezifikationen und Darstellungen, die den
K unden vollkom m en im D unkeln lassen.
M ein Kollege D r. Floyd Toole, der sich
in u n serem H aus u m die fantastischen
Revel-Lautsprecher küm m ert, h at es m al
so au sgedrückt: A u f d er F lanke eines
A utoreifens befinden sich m ehr b rau ch -
bare Inform ationen über die Fähigkeiten
als im Beiblatt eines Lautsprechers.
W as ist denn d er G rund dafür?
Es gibt jede M enge Erklärungen und A us-
flüchte. Etwa, die M aterie sei viel zu kom -
plex, um von jedem verstanden zu werden,
eine hochw ertige M esstechnik für H e r-
steller oder Testredaktionen zu aufwändig
und teuer oder die Aussagen zu bestimm ten
Ergebnissen zu subjektiv und persönlich,
von dem ografischen G egebenheiten oder
dem kulturellen B ackground sowie den
präferierten M usikstilen abhängig.
STEREO fü h rt um fangreiche Lautsprecher-
messungen durch und h a t ein K langbew er-
tungssystem m it P rozentpunkten, um qua-
lita tive U nterschiede darzustellen.
Lobensw ert, aber bei L etzterem fließen
eben auch die subjektiven Eindrücke der
Testredakteure m it ein. G erade diese wol-
len wir ausschließen und Punkte allein nach
objektiv erm ittelten M esswerten vergeben.
W ie kom m en Sie darauf, dass die klangliche
W ahrheit d o rt zu fin den ist?
Das ist ein Ergebnis unserer jahrzehntelan-
gen Beobachtungen. H arm an ist seit den
frühen 90ern ein V orreiter, was die w is-
senschaftliche U ntersuchung der Korrela-
tion zwischen objektiven M essergebnissen
und subjektiven Klangeindrücken betrifft.
Im kalifornischen N orthridge haben wir
dam als einen sehr aufw ändigen Raum für
H örtests m it einem autom atisierten pneu-
m atischen W echselsystem für die Boxen
eingerichtet. H underte von Testhörern jed-
w eder V orbildung n ahm en an den V er-
suchen teil. D ie laufen säm tlich „b lin d “
ab. Die P robanden wissen also nicht, wel-
che M arke, Preisklasse oder G röße gerade
läuft. O b en d rein h ab en w ir M e th o d en
entw ickelt, u m m öglichst genaue A u s-
sagen zu bekom m en. G leichzeitig verfü-
gen w ir vor O rt über zwei reflexionsarm e
M essräum e, u m säm tliche technischen
P aram eter präzise zu erfassen.
U nd zu welchen Ergebnissen sin d Sie w äh-
rend der H ör- und M essreihen gelangt?
Diese fallen erstaunlich einheitlich aus.
Interessanterw eise spielt die V orprägung
d er H ö re r d u rch H erkunft, A lter o d er
M usikgeschmack praktisch keine Rolle bei
der Bewertung von Lautsprechern.
W ie bitte? D as ist eine revolutionäre These.
Schließlich gehörte es nicht nur in der V er-
gangenheit zu m M an tra vieler B oxenher-
steller, dass ein Lautsprecher fü r A m erika,
Japan oder Deutschland jew eils etwas unter-
schiedlich abgestim m t sein müsse.
Dies m ag sich auf unterschiedliche W ohn-
situationen beziehen. Schließlich variieren
diese in Bezug auf Raum größe, verwendete
M aterialien und H örabstand international
recht deutlich, was natürlich Auswirkungen
Zur Person
S
ean Olive leitet die Forschungs- und
Entwicklungsabteilung von
Harman
für Heim-, Profi- und Car-Audio-Produkte.
Zuvor untersuchte er am kanadischen
„National Research Council" die Einflüsse
von Lautsprechern, Hörräumen und Mikro-
fonen. Er hat einen Bachelor in Musik und
ist Doktor der Aufnahmetechnik. Zudem ist
Olive aktueller Präsident der renommierten
Audio Engineering Society (AES).
30 STEREO 3/2014
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